Velkommen till Gamvik - bis ans Ende der Welt.

aero84

fat middle aged man
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Prolog

Die Ohren schmerzen. Ich sitze in einem weißen Lieferwagen, hinter der Sitzbank das Gepäck und die letzen fünfeinhalb Monate meines Lebens. Rechts neben mir lehnt Oberleutnant X. den Kopf schief an die Lehne und döst vor sich hin. Vorne dröhnt der Diesel und zieht den Wagen in die Nachmittagssonne.
Unser Fahrer kneift die Augen zusammen und verflucht die Sonnenblenden. Ich versuche zu schlafen, aber der Druck auf dem rechten Ohr hält mich wach. Wahrscheinlich hätte ich gar nicht fliegen dürfen. Dabei hatte ich von der Erkältung kaum etwas gemerkt, als ich heute Vormittag über die geöffnete Heckklappe in die Maschine geklettert war.


Rechts auf den Transportschienen verzurrt die Palletten mit unserem Gepäck. An den Kabinenwänden die Sitzbank aus Segeltuch. Ich sitze in der Mitte. Das Flugzeug hat eine Drei-Zonen-Klimatisierung: vorne ist es heiß, in der Mitte erträglich, und im Heck arschkalt. Die erste Turbine läuft an, dann die Zweite. Vibrationen laufen durch die Kabine, es wird laut. Quietschend hebt sich die Hecktür an, Sarajevo verschwindet hinter dem grünen Boden und dem matten Glänzen der Transportschienen. Ein kleiner Spalt bleibt offen.
Wir schnallen uns so gut es geht fest, um im Steigflug nicht durch die Maschine zu rutschen.
Ich starre die gegenüberliegende Kabinenwand an. Die Querspanten liegen frei. Zwischen den Spanten hängen Kevlarmatten. Manchmal haben sie Fenster, damit man an die Hydraulikleitungen dahinter kommt. Ein paar Bullaugen, so hoch, daß man nur den Himmel oder das Schimmern der Brechung des Plexiglases sieht.
Ein leises Rucken, das Bild im Heckklappenspalt bewegt sich. Der Berg schiebt sich durch den Spalt zur Seite. Einen Augenblick kann ich das Flughafengebäude sehen, dann wieder Hänge mit Häusern aus unverputzten roten Hohlziegeln.
Mit zwei Fingern fische ich das Döschen aus der Tasche des linken Ärmels. Ich rolle den Gehörschutz kegelförmig zusammen, bis das eine Ende eine absolute Spitze ist. Übergabe des Schaumgummis an die linke Hand. Die rechte Hand greift über den Kopf und zieht das linke Ohr nach oben. Gehörschutz einführen. Während ich darauf warte, daß er aufquillt, formt die rechte Hand den nächsten Kegel. Hand über den Kopf, Gehörschutz reinschieben, warten.
Es wird lauter. Die Turbinen brüllen auf, das Flugzeug ruckt in den Bremsen. Das Schlagen der Propeller wird zum Dröhnen. Der Hang verschindet, klackend schließt die Klappe vollständig. Alles dröhnt und wackelt. Ich sehe mich um, die meisten haben den Kopf ans Segeltuch gelehnt, die Augen halb geschlossen; halb schauen Sie geradeaus. Das Brüllen der Maschinen steigert sich zum Pfeifen, ein kurzer Ruck zur Seite, dann geht der Fahrstuhl nach oben.


Gleich muß sie runterfallen. Es ist unmöglich, daß sie oben bleibt. Das geht einfach nicht. Während der Verstand rebelliert bleibt die grünschwarze Hummel in der Luft stehen, die Nase steil zum Himmel gereckt, und schmerzhaft langsam drückt sie sich immer weiter nach oben. Eine lange Bierflasche dauert es, bis sie spielzeugklein geworden aus dem Talkessel entschwindet.
Zwei Wochen noch, dann kommt meine Ablösung. Ein Monat, und ich werde selber in dieser Hummel sitzen, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund doch nicht herunterfallen wird. Zwei Monate, und ich werde Urlaub haben...
Keiner von uns hat etwas gesagt. Es wird einige Zeit dauern, bis wir vom Container klettern.
 
! wow !


heute, heute sollte endlich der Tag sein,
an dem ich mal früher schlafen gehen wollte.

und habe gerade ein wunderbares Beispiel dafür gefunden wie gut es war,
eben nicht früher schlafen zu gehen !

:congrats:

Dank Dir für die wunderbar stimmungsvolle Beschreibung !

:top:

w.


p.s.: dieses Forum ist schon echt ne eigene Liga.
 
heute, heute sollte endlich der Tag sein,
an dem ich mal früher schlafen gehen wollte.

und habe gerade ein wunderbares Beispiel dafür gefunden wie gut es war,
eben nicht früher schlafen zu gehen !

:congrats:

Dank Dir für die wunderbar stimmungsvolle Beschreibung !

:top:

w.


p.s.: dieses Forum ist schon echt ne eigene Liga.

Warte es ab. Das ist erst der Anfang :smile:
 
Erinnert mich an meinen Flug von Usbekistan nach Kabul.......
 
Qietschend und rasselnd schiebt sich das Rolltor nach oben. Das blaßwarme Licht eines Weddingmorgens flutet das klaffend schwarze Loch dahinter. Der Staub malt Streifen in die Luft.
Ich stehe zerschlagen an der Seite und verbrenne mir die Finger am heißen Pappbecher. Noch wirkt der Kaffee nicht, aber das muß sich ändern. Viel zu spät war ich losgefahren, zu lange hatten wir das herausgezögert. Dann die Entscheidung: auch wenn einer ausfällt wird gefahren. Das Drittel an Mehrkosten muß dann halt irgendwie eingespart werden, aber das wird sich geben.

Der Lichtstrahl trifft auf Chrom. Dunkler Lack, Chrom, Nummernschild und Heckleuchten, wieder Chrom und wieder Lack. Im Halbdunkeln sieht der Wagen am besten aus, ist er grün oder schwarz? Man sieht es nicht. Alt und wertvoll sieht er aus. Mehr sieht man nicht.

Ich ducke mich unter dem Rolltor durch und passe auf, daß ich mir dabei nicht den Kaffee über die Hose schütte. Hinein ins Halbdunkel, hinab auf die Schräge, wo könnte... suchende Griffe, da ist der Schlüssel.
Ich setze mich ins Auto und stürze durch den Sitz in die Tiefe.
Tür zu.
PLOPP.
Durchatmen.
Ich streiche mit dem Finger über das riesige Lenkrad. Dann über die Chromringe der Luftaustrittsdüsen. Kaffee in die Linke. Die rechte Hand auf den Wählhebel.
Und vor mir, meilenweit, der Stern.
Schön.
 
klasse, es gibt wieder was feines zu lesen. Weiter so, Martin !:congrats::congrats::congrats:
 
Ich drücke auf die Taste mit dem roten Symbol auf meinem Handy.
Nun ist es also festgelegt: Wir fahren! Auch wenn einer ausfällt, wir uns sehr lange Zeit mit der Entscheidung gelassen haben, sind wir fest entschlossen. Uns ist klar, dass wir nun etwa einen Drittel mehr Geld pro Person einplanen müssen für die Tour. Aber das hält uns nicht auf. Doch wie kam es dazu?
Die fast schon legendäre "ohne Plan nach Norden"-Reise war der Denkanstoß für 3 Mitglieder unserer Gemeinschaft, auf ein ähnlich schönes Erlebnis zu hoffen. Iuri, Martin und meine Wenigkeit formten die erst noch grobe Idee immer weiter und bald stand das grobe Gerüst fest.
Doch dann rief Martin mich an ... Hiob flüsterte mir ins Ohr: Der Iuri ist krank!
Das Vorhaben stand kurz vor dem Scheitern. Doch ein inneres Gefühl sagt uns: Das lassen wir uns doch nicht nehmen und viel wichtiger: Was würde das Forum denken?

Ich weiß nun: Martin ist auf dem Weg!
Sachen packen.
Denken.
Einkaufslisten schreiben.
Denken.
Fehlende Sachen noch einpacken.
Denken.
Schönes Wetter. Auch in Schweden?
Wetterbericht.
Denken.
Ach, was soll's. Irgendwas vergisst man immer.
Nicht mehr denken.
Vorfreude.
Rechnen. Wann wird er hier aufschlagen?
Wie weit kommen wir? Ach Zukunftsmusik.

Warten.
 
und natürlich weiter so Janny :smile:
 
Seil. Öl. Werkzeug. Wasser.
Paßt.
Jetzt das Gepäck... Rucksack, Schlafsack, Stiefel. Reisetasche. Heckdeckel zu. Jetzt nur noch die Autos rochieren. Den Schlampenschlepper ins sichere Dunkel der konspirativen Tiefgarage.
Ich schließe den Heckdeckel und steige ein. Vorglühen. Hmm.. tanken sollte ich wohl auch mal.
Ich steige wieder aus und rufe Sascha an.
"Sag mal, was ist denn die schwarze Plörre in den Flaschen neben dem Müll?" -" Flüssigkeiten."
Stirnrunzeln.
"Meinst Du, das kann ich fahren? "
Kurze Pause.
"Nimm die links, die hab ick schon jefiltert. Ick denke mal, det sollte brennen..."
 
Der Diesel singt sein Lied. Berlin liegt seit einer halben Stunde hinter mir. Die Vormittagssonne läßt den Stern funkeln. Schönwetterwolken spiegeln sich im Wachs der geschwungenen Motorhaube. Beiderseits des Spiegelhimmels wechseln sich Felder und Waldstücke ab.
Die Tachonadel steht senkrecht, gerade dreistellig. Wären die Haare kürzer, der Wind würde sie durchs geöffnete Schiebedach zerwühlen. So gleichen sich Wind und Sonne aus.
In der Konsole auf dem Getriebetunnel steht der zweite Kaffee. Zarte Blätterteigreste rieseln auf den Sitz. Ich genieße das frische Croissant. Der erste feste Bissen seit der letzten Nacht auf der Autobahn.
Die Sonne scheint, das Land zieht vorbei. Ich habe Kaffee. Das Leben ist schön.
 
Zarte Blätterteigreste............


köstlich !!! :biggrin:
 
Der große schwarze Zeiger schreitet unaufhaltsam auf die "12" zu.
Vor einer Stunde kam der Funkspruch aus der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze, dass nun "Öl in Chrom und Lack" sei. Ferner war von "undefinierbarer Suppe" und "Brennwert" die Rede.
Inzwischen müsste das von "alternativem Kraftstoff" angetriebene Fahrzeug seine Reisegeschwindigkeit erreicht haben und Richtung Zwischenstopp rollen.
Ein Blick nach Draußen. Blau. Weiß, wenig weiß. Sonnenstrahlen werden an der Scheibe gebrochen, sie erwärmen den Raum, die Terrassenfliesen. Die bunte Pracht legt sich behutsam über ein grünes Meer. Ein leiser Wind streicht die warme Luft über die majestetisch dahinschwimmenden Seerosen.

Mir bleibt noch etwas Zeit die Natur in ihren Formen und Farben zu genießen. Ich setze mich auf einen Gartenstuhl und kippe die Lehne nach hinten. Beruhigt von dem Duft der Rosen und dem sanften Hauch an Haut und Haar, schließe ich die Augen und lasse mich fallen...
 
Jetzt weiß ich auch, wofür das PI im Nummernschild steht: Pilcher? :biggrin:
 
Der Wagen gleitet stetig dahin. Nur wenige Fahrzeuge sind auf der Straße, einige überholen.
Dann in der Senke helles Blinken.
Ein Stau? Jetzt? Hier?
Gas wegnehmen. Reicht nicht. Sachte bremse ich zwei Tonnen herunter.
Es geht mit Schrittgeschwindigkeit weiter. Nach hundert Metern erreiche ich das Schlachtfeld. Trümmer auf der linken Spur. Auf der Gegenfahrbahn steht ein grüner Geländewagen gegen die Fahrtrichtung. Den Anhänger hat auch die Leitplanke nicht aufgehalten, zumindest Teile nicht. Irgendwer führt einen hinkenden Schimmel über die Fahrbahn. Sein silbernes Fell ist braunrot befleckt.
Rettungsdienst und Polizei sind noch nicht vor Ort, aber fünf oder sechs Autofahrer in Warnwesten bemühen sich, die Lage zu ordnen.
Jetzt komme ich dran. In vorsichtigem Slalom kurve an den Wrackteilen vorbei.

Während des Beschleunigens bemerke ich einen grauen Touran, der auf dem Standstreifen steht. Im Rückspiegel sehe ich das Spinnennetz auf der Windschutzscheibe.
Zur falschen Zeit am falschen Ort...
Gut, daß für den zweiten Kaffee noch Zeit war.
 
In meinem Kopf schwirrt ein sonores Dröhnen umher. Nach und nach klart das Geräusch auf, formt sich zu einer mir sehr bekannten Symphonie. Der Singsang der 3 9-Zylinder Sternmotoren ist seit meiner Kindheit immer wieder zu hören gewesen. Ich öffne die Augen und sehe den großen blechernen Vogel mit einer rasanten Reisegeschwindigkeit von nichtmal 200 km/h durch den Himmel gleiten. In großen Lettern steht die ehemalige Kennung "D-AQUI" auf Tragwerk und Rumpf. Selbst von meinem gemütlichen Stuhl kann ich die Schrift ohne Probleme lesen.
Immer wieder ein schöner Anblick, die "Tante Ju".

Wie spät ist es eigentlich? Oh, schon kurz vor 16 Uhr. Wo mag Martin steck...*Telefon klingelt* ... es ist Martin. Was wo bist du? Schon in Uetersen? Alles klar, ich hole dich ab, nicht bewegen!

Los geht's, ich schnappe mir den Schlüssel, gehe raus und öffne die Tür. Vertrauter Geruch schlägt mir entgegen, aber Martin soll nicht warten, ich lasse mich nicht aufhalten. Doch dieses Vorhaben verwerfe ich sofort mit dem majestätischen Klacken, mit dem die Tür ins Schloss fällt. Und sofort fühle ich mich zuhause. So wie jedes Mal, wenn ich in einen Saab 900 einsteige. Nun aber los!

Nach wenigen Minuten fahrt sehe ich das Chrom blitzen und den Lack glänzen. Da steht er, der Sportunimog. Ich steige aus, begrüße Martin und wir beschließen alles weitere an einem geeigneteren Ort zu besprechen.
Angekommen bei uns zu Hause werden sofort interessante Gespräche angefangen und meine Sachen werden verladen.

p6300002.jpg


Nächste Station: Einkaufen. Lebensmittel, alles notwendige. Wir wollen möglichst wenig in Schweden kaufen. Dauert mal wieder länger als gedacht.

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Zeitsprung
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Ort: Im Nordwesten Hamburgs
Zeit: 17:15 Uhr

Wir fahren los! Martin steuert das elegante Blechkleid souverän Richtung A7. Ich fungiere als Navigator, Kurs 000, genau Richtung Norden, Herr Kommandant!
Der weitere Kurs wird schon errechnet. Aufgrund der Erfahrung keine schwere Aufgabe, alle Besatzungsmitglieder sind die Strecke schon oft gefahren, Routinearbeit.

Die ersten 2 Stunden der Fahrt spielen sich ausschließlich in Deutschland ab. Wir haben viel zu erzählen, einiges zu planen. Über eine Sache sind wir uns schnell einig: Der Fahrstil ist entscheidend!
Klare Sonnenstrahlen, leichter Wind und ein blauer Himmel machen die Prelüde unserer Reise zu einem wohlschmeckenden Appetizer. Wir haben Lust auf mehr.
 
Es ist nicht dunkel. Müßte es aber sein. Sagt mein Körper.
Gelbes Licht spiegelt sich im dunkelgrünen Wachskleid des Sternenkreuzers. Die Zapfpistole ist eingerastet, die Zahlen laufen vorbei. Mich fröstelt. Trotz des Sommers. Die Müdigkeit? Wird Zeit, daß Janny übernimmt.
Der entsorgt derweil Papiertüten und Servietten. Schon bald würden wir McDonalds gegen Maxburgare eintauschen, aber davon weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
 
Öl stimmt. Derweile habe ich den Spritverbrauch überschlagen, fast 10 Liter, viel zu hoch. Vielleicht war das schwarze Zeug doch nicht so nahrhaft, wie ich erwartet hatte. Immerhin war das somit der zähflüssigste Brennstoff, den ich bis dahin getankt hatte.

Janny reißt den Diesel an. Der spuckt eine schwarze Wolke aus und setzt sich dann leise nagelnd in Bewegung.
Als es von der Tankstelle wieder auf die Straße geht schwingt die schwere Karosse noch zweimal nach, dann kehrt Ruhe ein.
Sanft gleitet der Wagen nach Norden. Dänemark ist nicht mehr weit.
 
Von Dänemark bekomme ich nicht viel mit. Zunächst döse ich etwas vor mich hin.
Auf Fünen werde ich wieder wach und mache die Kamera klar. Gleich wird es über den Großen Belt gehen.



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