Hier wird so getan, als ob die Tigerenten-Koalition der Ursprung des Übels ist. Als ob das einst unter der Fuchtel von Nobel-Schröder und den grünen Versallen besser war. Ich sage nur: HartzIV, Ökosteuer und Gesundheitsreform.
...sicherlich war die Tigerente nicht der Ursprung allen Übels. Ich glaube wir sollten jetzt von den Wahlkampfparolen mal wieder runterkommen.
Und was ist an Ökosteuer bitte so schlimm? Der Sprit kostet mehr für die Rente. Ok, man hätte das Geld sinnvoller verwenden können, z.B. für Bildung oder Forschung und Entwicklung neuer Technologien. Aber das ungenügende Rentensystem ist nun auch mal Fakt und wenn das Geld der Ökosteuer nicht dafür verwendet worden wäre, hätten sie die Lohnnebenkosten erhöhen müssen. Da wäre derselbe Geldbetrag dann von weniger Schultern getragen werden müssen... das wäre nicht besser gewesen.
So hat man zumindest ansatzweise ein ökologische Lenkungswirkung.
Und HartzIV? Ein ähnliches Problem wie mit den Rentenkassen. Es war kein Geld da. Ich denke das Problem ist auch nicht die Höhe des HartzIV-Satzes, sondern der Fakt, dass es viele Menschen gibt, die trotz Arbeit nicht von ihrem Gehalt leben können. Das ist der wahre Skandal. Wollen wir amerikanische Verhältnisse, wo man zwei oder drei Jobs zum Überleben braucht?
Andererseits muss man auch klar sehen, dass sowohl Dienstleistungen, Lebensmittel und andere Produkte durchaus ihren Preis haben müssen. Es wird mit der Geiz-ist-Geil-Mentalität nicht funktionieren. Es kann nicht sein, dass gewisse Dienstleistungen zum Spottpreis zu haben sind, z.B. Haareschneiden für unter 10 Euro. Wer Dumpingpreise haben will, darf sich nicht über Dumpinglöhne oder schlechte Produktqualität beschweren. Im Umkehrschluss müssen höhere Preise auch zu höheren Löhnen führen, auch für diejenigen, die am Fließband zur Wertschöpfung beitragen. Das gilt für Deutschland im kleinen wie global im großen.
Es geht auch darum, die abwärtige Lohn- und Preisspirale zu durchbrechen. Denn wer heute schon kaum was hat, wie soll derjenige für das Alter privat vorsorgen?
Für mich macht es den Anschein, als ob sich in Zukunft die Schere nicht nur für arm und reich, sondern auch für gebildet und ungebildet, gut versorgt und vernachlässigt, gesund und krank, etc. immer weiter öffnen wird. Als Ende-20-Jähriger kann ich mein persönliches Heil nur in dem Versuch suchen, es irgendwie zu späterem Wohlstand zu bringen. Ich hatte sicherlich auch etwas Glück, in intakten Verhältnissen aufgewachsen zu sein, es auf die richtige Schule und letztlich an die Uni geschafft zu haben. Aber bei vielen ist das einfach nicht der Fall und die haben trotz größtem Fleiss einfach nicht die Möglichkeit aufzusteigen.
Ein Beispiel: Ich habe über Jahre nebenbei als Lehrkraft in einem Nachhilfeinstitut Schüler und Auszubildende in Mathematik und Physik unterrichtet. Ich sage euch, es ist erschreckend mitanzusehen, wie 16-Jährige nicht in der Lage sind, im Kopf 32 durch 4 zu teilen, Volumina nicht von einem Flächeninhalt unterscheiden können oder der Meinung sind, ein Rechteck hätte drei Seiten. Das sind keine Übertreibungen, sondern der alltägliche Wahnsinn. Wenn ich von bekannten Lehrern höre, dass in der Grundschule bereits nahezu 20% der Kinder einer Klasse von ihrem Leistungsstand her nicht in die nächste Klasse versetzt werden dürften, passt das genau in meine Erfahrungen mit älteren Schülern.
Und das Schlimme ist, dass viele Schüler auch gar kein Interesse haben, diese Defizite auszugleichen, da sie es mangels Vorbilder nicht als notwendig erachten oder sich teilweise aufgegeben haben. Es gibt zwar auch viele, die sich verbessern wollen, es aber nicht schaffen auf einen grünen Zweig zu kommen, weil sie aus zerrütteten oder armen Familienverhältnissen kommen und sich entsprechende externe Hilfe einfach nicht leisten können. Da kommen Eltern, oder verbleibende alleinerziehende Elternteile, die sich teilweise krumm und buckelig schuften, damit ihre Kinder wenigstens etwas Nachhilfe bekommen und oft reicht es einfach nicht aus. Selbst als ursprünglich einmal motivierte Lehrkraft kann man da oft nur frustriert und machtlos zuschauen und dem betreffenden Schüler dann viel Glück wünschen.
Dazu kommt der in den letzten Jahren extrem gestiegene soziale Druck in den Schulen. Mobbing unter Schülern ist heute deutlich schlimmer als noch vor einem oder zwei Jahrzehnten. Da sehe ich eine große Schuld bei Medien, Marken-Fetischismus, falschen Vorbildern und gesellschaftlichen Zwängen.
Ich befürchte, dass diese Gesellschaft momentan auf ein Klassensystem mit Proletariat zusteuert und zwar nicht nur im finanziellen Sinne, sondern auch im Bildungssinne. Wir werden in zwanzig Jahren eine nicht mehr zu vernachlässigende große Schicht an Menschen haben, die einfach ÜBRIG sind. Ohne Perspektive. Gesellschaftlich und wirtschaftlich nutzlos und wertlos. Das ist das menschenverachtenste schlechthin.
Was das für die Kriminalität bedeutet, brauche ich hier nicht weiter zu erläutern. Und der Rest der Reichen wird diese armen Menschen nicht versorgen können. Das ist einfach nicht bezahlbar, insbesondere da Europa wirtschaftlich mit Asien, etc. konkurrieren muss.
Wir sind gerade dabei, die Chancengleichheit und damit den auch den (einigermaßen) breiten Wohlstand vollends zu verspielen.
So.. und nun wieder zur Tigerenten-Koalition. Sie hat das Zeug dazu, die Wirtschaft anzukurbeln, ohne Zweifel. Aber sie trägt in meinen Augen zur Verschlimmerung der gesellschaftlichen Restsituation bei, zur weiteren Spaltung der Gesellschaft.
Finanziell werde ich persönlich aber kurzfristig sicherlich von einer schwarz-gelben Regierung profitieren, deshalb muss ich sie aber nicht unbedingt gut finden.
Und die anderen Parteien? Ob sie es besser können? Wissen tue ich es nicht...aber es gibt einige die sicher nicht schlechter sind.
Aber soweit ist Deutschland anscheinend noch nicht. Solange die meisten Wähler noch Parteien abstrafen, die breite Einschnitte und Veränderungen sowohl bei den "Kleinen", als auch bei den "Großen" fordern, kommen wir nur wenig voran,..wenn überhaupt.
Ich schlage vor, dass diejenigen unter euch, die jetzt schon einigermaßen wohlhabend sind, sich an den Erleichterungen und wirtschaftlichen Gewinne der nächsten Jahre gut tun, solange es noch geht, denn der andere Teil der Forumsmitglieder, die jetzt finanziell eher mager dastehen und deren Perspektiven zukünftig immer weiter abnehmen, werden sicherlich bald anfangen noch vergleichsweise billiges Benzin zu bunkern, damit in ein paar Jahrzehnten auch genügend Molotow-Cocktails vorhanden sind, um die Rechnung zu begleichen.
Gruß,
ein deprimierter nibohr