Aus Schaden wird man klug

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03. Jan. 2009
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SAAB
900 I
Baujahr
92+
Turbo
T...Turbolinchen
Was ich euch schon lange mal schreiben wollte, aber bisher keine Zeit fand. Gerade kuriere ich eine Erkältung aus und muss mich physisch schonen. Vielleicht könnt Ihr aus meinen Fehlern lernen.

Es geht um meinen geliebten 900i Sauger vom Juni 1993. Der hatte mal 2009 einen unverschuldeten Unfall mit eingedätscher Front, die von HFT liebevoll für über 10.000 Euro wiederhergestellt wurde. Man sah dem Auto nicht mehr den geringsten Schaden an. Die HUK hatte widerspruchslos bezahlt.

Ich fuhr ihn vorsichtig die nächsten 5 Jahre, bis sich wieder jemand an meinem guten alten Saab austoben wollte. Die Schuldfrage war klar und wurde von der Gegenseite auch nicht bestritten.
Der Schaden war größer als beim ersten Mal. Die rechte Tür ging nicht mehr auf und zu, und die Gangschaltung klemmte.
Ich beauftragte einen Gutachter, der sich das Auto akribisch anschaute und berichtete ihm vom vorangegangenen umfangreichen Blechschaden. Er meinte, eine Reparatur würde an die 20.000 Euro kosten: wirtschaftlicher Totalschaden. Er schätzte den Wiederbeschaffungswert auf 7300 Euro. Dabei hatte er auch den Zeitwert bei Classic Cars berücksichtigt. In seinem Gutachten hatte er auch kleinere optische Fehler berücksichtig, z.B. einen fingernagelgroßen Rostfleck unten an der Fahrertür. Sonst war das Auto rostfrei, da ich ihn regelmäßig wachse und Winterfahrten auf gesalzenen Straßen meide.

Da mir alle sagten, eine wirtschaftliche Reparatur sei nicht möglich, kaufte ich mir in Berlin einen gebrauchten 900i, auch Juni 1993 mit 90.000 km für 9400 Euro. Die DI musste meine Zugfahrt nach Berlin, das Hotelzimmer und die Rückfahrt nach München bezahlen.
Den verunfallten 900er parkte ich in einer gemieteten Garage, da ich es nicht über´s Herz brachte, ihn verschrotten zu lassen.
Die gegnerische Versicherung, die Deutsche Internet, reagierte unfreundlich auf mein Gutachten und die Forderung. Sie meinte, das Auto sei gerade noch mal 4500 wert und benannte vergleichbare Saab 900.
Nun war aber 1993 das Jahr eines radikalen Modellwechsels bei Saab. Der neue 900er taugte nichts und brachte gebraucht nicht viel. Aber gerade den neuen 900er hatte die Deutsche Internet zum Vergleich herangezogen.
Ich machte DI auf ihren Irrtum aufmerksam und dass es sich um zwei grundverschieden Automodelle handelte. Das sahen sie zwar ein, blieben aber bei ihrer Erstattungssumme. Dann beschloss ich, meine Rechtschutzversicherung zu bemühen und fragte, ob sie mir einen Anwalt empfehlen könnten, da ein mir bekannter gewissenhafter Anwalt keine Verkehrsangelegenheiten übernahm.
Der Anwalt setzte eine Zahlungsaufforderung an die DI auf, die diese ablehnte. Der Weg zur Klage war klar.
Das zuständige Gericht in Fürstenfeldbruck setzte einen Kompromisstermin an. Der gegnerische Anwalt lehnte weisungsgemäß jegliche Kompromissbereitschaft ab.
Es würde also eine Verhandlung geben. Nach einem Jahr fand sie statt. Was mich wunderte: Mein Anwalt besprach keine Vorgehensweise mit mir.
Ich hatte meinen Gutachter gefagt, was ich tun sollte. Er zeigte wenig Neigung zur Verhandlung zu kommen, da das Zeugengeld niedrig sei.
MEIN ERSTER FEHLER. Ich hätte ihm einen von mmir bezahlten Obulus versprechen sollen. Ich bin sicher, er hätte das vom Gericht bestellte Gutachten zerlegt.
Inzwischen hatte die Richterin nämlich einen eigenen Gutachter beauftragt, einen älteren Herrn namens Birlmaier, der den Zeitwert auf 5500 Euro erhöht hatte. Der Gutachter wurde auch zur Verhandlung geladen. Sein Gutachten bestand im Wesentlichen aus Zitaten aus meinem Gutachten, wobei er nur die negativen Angaben des von mir bestellten Gutachters aufführte.
Ich war wahnsinnig aufgeregt und konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Total übernächtigt und nervös kam ich morgens um 8:00 zur Verhandlung in Fürstenfeldbruck. Die Richterin fragte den von ihr bestellten Gutachter, ob er denn das verunfallte Fahrzeug besichtigt hatte. Nein, habe er nicht, denn er hatte gemeint, das Fahrzeug würde nach einem Jahr nicht mehr existieren. Er hatte keinerlei Versuch gemacht, mich zu kontaktieren.
Die Richterin fragte nicht nach, mein Anwalt auch nicht.
MEIN ZWEITER FEHLER
Dann fragten wir den Gutachter, ob er den Unterschied zwischen Saab 900 bis 1993 und Saab 900 ab 1993 kenne. Er meinte: ja.
MEIN DRITTER FEHLER. Ich hätte den Gerichtsgutachter auffordern sollen, die Unterschiede zwischen beiden Modellen aufzuzählen.
Ich war so nervös, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte und nicht nachhakte. Ob er den Unterschied zwischen beiden Modellen kenne wurde also nicht geklärt.
Da ich auf die Diskrepanz zwischen beiden Gutachten hinwies, meinte die Richterin, es gebe ja auch die Möglichkeit eines Drittgutachtens.
MEIN VIERTER FEHLER: Wir verlangten kein Drittgutachten.
Gegen Ende der Verhandlung schlug mein Anwalt einen Kompromiss vor, nämlich dass die DI ihr Angebot deutlich erhöhe. Der gegnerische Anwalt lehnte nicht ab und rief die DI auf seinem Handy an. Offensichtlich lehnte die DI jedes Entgegenkommen ab.
Die Richterin beendete die Verhandlung und kündigte ein schriftliches Urteil an.
In dem wurde meine Klage abgewiesen und auf das vom Gericht bestellte Gutachten hingewiesen, also auf ein Gutachten, das ohne Besichtigung des Fahrzeugs erstellt worden war.
Ich rief meine Rechtschutzversicherung an, ob sie die nächste Instanz bezahlen würde. Sie meinte, ja.
Leider hatte mein Anwalt inzwischen ohne mich zu fragen das Urteil angenommen.
Da stand ich also mit einem Schaden von geschätzt 20.000 Euro, einem Zeitwert von 7300 Euro, und einer Zahlung der DI von 5500.
Da war wohl nichts mehr zu machen mit meinem gepflegten und immer vorsichtig gefahrenen 900er. Ich erzählte mein Bedauern einem Freund in Niederbayern, der eine Werkstatt kannte, die von einem begabten Bastler namens Sepp betrieben wurde. Den besuchte ich. Er hatte zwar noch nie einen Saab in die Finger bekommen, bat mich aber, das Auto rundum zu fotografieren. Er schaute sich die Bilder an und meinte, wenn ich ihm Zeit lasse, würde er ihn mir zu einem bezahlbaren Preis reparieren. Immer wenn er gerade nichts Anderes zu tun habe, würde er an meinem Auto basteln.
Sepp besorgte mir auch einen günstigen Transport nach Niederbayern, als ein Transportunternehmer eine Leerfahrt von München hatte. Sepp meinte, ich solle einfach Geduld haben.
Inzwischen bekam ich von Kollege Saabkalender in Sachsen eine Motorhaube, eine Traverse. Scheinwerfer und eine Stoßstange, alle gebraucht. Die brachte ich zu Sepp. Homo Sabiens aus Abensberg empfahl, einen Turbokühler einzubauen.
Es vergingen drei Jahre, während der ich immer wieder gebrauchte Kleinteile zu Sepp brachte. Sepps Frau wurde ungeduldig und meinte, ich solle meinen alten Karren endlich abholen. Aber Sepp hatte noch nicht viel gemacht, da er anderweitig beschäftigt war.
Und eines Tages nach drei Jahren kam der überraschende Anruf: TÜV ohne Mängel bestanden.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Und Sepp hatte das Auto im Rahmen der von der DI-Versicherung bezahlten Summen hingekriegt. Naja, ein paar Euro wie den Transport und einige Teile musste ich schon aus eigener Tasche bezahlen.

Nachbetrachtung:

MEIN FÜNFTER FEHLER
Ein befreundeter Versicherungsagent meinte, ich hätte meine eigene Versicherung als erste um Bezahlung des Schadens angehen sollen, da ich eine Vollkaskoversicherung hatte. Die hätte sich einem eigenen Kunden gegenüber großzügiger verhalten und sich dann die Bezahlung des Schadens von der DI geholt. Meine Forderung an die eigene Versicherung um Begleichung der Differenz zwischen beiden Gutachten wurde abgelehnt, da ja ein rechtskräftiges Urteil vorliege.
Inzwischen fährt das Auto seit 2007 und wurde gerade frisch gewachst. Nach den drei Jahren im Freien war der Lack rau geworden wie Schmirgelpapier, aber eine Politur brachte ihn wieder auf Glanz. Irgendwann brauchte es eine neue ZKD, die mir Sepp für 1300 Euro einbaute. Den zweiten nach dem Unfall gekauften 900er Sauger habe ich auch noch. Und dazu ein 1992 Cabrio mit Soffturbo. Ich kann ja nie wissen, wann mir wieder jemand einen Saab kaputtfährt und ich wieder vor Gericht muss und verliere.

Mein Respekt vor der deutschen Justiz, jedenfalls von Teilen derselben, hat nach diesem Urteil sehr gelitten. Dass eine Richterin ein Gutachten zur Basis ihres Urteils machte, dessen Ersteller sich das Auto nicht einmal angeschaut hatte, ist mir unbegreiflich. Ich schreibe lieber nicht, was ich von diesem Urteil halte, um mir weiteren Ärger zu ersparen.
Was ich von der bayerischen Justiz halte, ist ohnehin nicht viel. Als Gustl Mollath Geldwäschepraktiken einer großen bayerischen Bank öffentlich machte, wurde er unter konstruierten Vorwürfen 7 Jahre lang zusammen mit Schwerkriminellen in die Psychiatrie weggesperrt, bis ihn schließlich der Jurist, Buchautor und Kritiker bayerischer Zustände Dr. Wilhelm Schlötterer juristisch vertrat und freiklagte. https://www.booklooker.de/Bücher/Wi...-Verbrechen-an-Gustl-Mollath/id/A02AP8K001ZZi
Der ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter ging auch durch die Presse, als er mit Maskendeals Aufsehen erregte.
Ich hoffe, ich habe nach fast 10 Jahren alles richtig dargestellt und beantworte gerne Nachfragen.

Danke an alle, die mir geholfen haben: Besonders Sepp, dann Saabkalender und Homo Sabiens sowie dem Autotransporteur.
Jedesmal wenn ich Sepp besuche, versichert er mir, wie beeindruckt er von der Solidität des Saab-Autos sei.
 
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Schöner Mist

deswegen regelmäßig ein Wertgutachten erstellen lassen, das hilft ggü der Versicherung
Der Fremden und der eigenen
 
Letztlich ein gutes Ende - wenn auch teuer und frustrierend. Ich kann nur einen Fehler erkennen: Du hast Deinem Anwalt vertraut - und der hatte keine Lust. Weil, ob schlecht oder gut gearbeitet, sein Honorar bleibt immer gleich.
 
Das ist eine furchtbare Geschichte, ich hoffe sie passiert keinem ähnlich.
Ich hatte bei meinen Wagen auch schon fremdverursachte Schäden, aber mehr Glück mit dem Anwalt.
Eine von meinem damaligen Gutachter (und ganz früher sogar Fahrlehrer) gelernte Lektion, immer alle Register sofort ziehen, sonst wird man klein gemacht.
 
KREIZKRUZIFIX, jetzt ist mir schon wieder jemand in meinen dritten und bisher unbeschädigten 900er gebrummt, der am Straßenrand geparkt ist.. Aufmerksame Handwerker im Nachbarhaus notierten das Kennzeichen. Jemand war beim Zurückstoßen mit einem Anhänger an die Stelle des hinteren Radkastens gebrummt, die senkrecht über der Achse liegt. Wahrscheinlich hatte er gar nichts gemerkt. Inzwischen meldete er sich. Was hat die Menschheit nur gegen meine alten Saab??? Seit 2000 hatte ich drei unverschuldete Aggressionen gegen meine guten alten Schweden, und nun die vierte. Ich tu doch auch niemandem was.
Die schwarze Plastikeinrahmung des Radkastens gibt es nicht mehr. Mist
 
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Wir alle lernen daraus.jpg Wir alle können daraus lernen! Herzliche Teilnahme lieber Gert ! Trotzdem: Immer nur lächeln...upload_2023-6-2_15-17-38.jpegfull]226641[/ATTACH] Wir alle lernen daraus.jpg Wir alle lernen daraus.jpg
Sorry, beim Einfügen der Fotos hab ich wohl einen Fehler gemacht, ich bin halt aus der Übung ;-(
 
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Puh, solch eine Geschichte liest man mit Gänsehaut...

In stark abgemilderter Form ist mir was ähnliches passiert, als mir jemand auf mein selbst restaurierten BMW in einer 30er Zohne hinten drauf gefahren ist. Lief aber glimpflich aus, denn ich hatte glücklicherweise eine gute Karosseriewerkstatt zur Hand, die auch noch einen fähigen Gutachter mit eingebracht hatte. Hatte da schon arge Bedenken, weil die Teile von der Classic-Abteilung einfach nur abartig teuer sind.

Seit dieser Zeit habe ich für solche Autos zumindet ein Kurzgutachten. Die 100 - 200€ sind im Fall der Fälle gut investiert. Vor allem auch wenn das Auto komplett weg ist (Brand, Diebstal) hat man eine beglaubigte Beschreibung nebst Fotos. Zudem ist es mit den Oldtimerversicheren viel einfacher: Gutachten hinschicken und gut ist...

Was bei unseren (schwedischen) Exoten nicht ganz unwichtig ist: Beim Gutachten ohne Anlass wegen Schäden oä hat man normalerweise Zeit. Das bringt insofern etwas, weil derjenige, der das (Kurz)gutachten erstellt hat, sich im Vorfeld erkundigen kann um welches Fahrzeug es sich handelt. Um sich halt schon mal damit zu befassen. Einem solchen Gutachter ist der Unterschied zwischen 901 und 902 dann mit Sicherheit geläufig. So war es zumindest bei meinen Gutachten. UNd weil ich so jemanden bezahle, kann ich das auch erwarten.
 
Welche Leiste brauchst du - breit oder schmal?
Ich will meine demnächst einmal vereinheitlichen - da bleibt dann eine übrig (wenn ich sie denn heil abbekomme...).
 
Hallo,
vielen Dank für das Teilen Ihrer Erfahrungen und Ihrer persönlichen Geschichte mit Ihrem Saab 900. Es ist bedauerlich, dass Sie durch eine komplizierte rechtliche Situation und eine unklare Schadensregulierung gegangen sind. Solche Situationen können frustrierend und zeitaufwändig sein.

Es ist großartig zu hören, dass Sie einen begabten Bastler gefunden haben, der Ihr Fahrzeug wieder in Gang gebracht hat und es weiterhin genießen können. Saab-Fahrzeuge sind bekannt für ihre Solidität und ihr einzigartiges Design, und es ist schön zu sehen, dass Sie Ihr Saab-Cabrio und den Saab 900 weiterhin schätzen.

VG
 
Kann das mal unter Stammtisch weiterlaufen und könnt ihr mal Computer aussperren?
Der @labbifit fängt an zu nerven!
 
Stimmt, mit technischen Fragen hat das Thema nur am Rande zu tun.
 
Mal sehen, ob und was da evtl. noch auf meine PN als Antwort kommt. Vielleicht denkt die KI noch drüber nach... :redface:
 
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