Teil 11
Nun ist die Ostküste irgendwann auch mal abgegrast und nach mehreren Tagen am Strand (Hinfahren, rumliegen, schwimmen und abkühlen gehen, wieder rumliegen, Kaltgetränk an der Strandbar nehmen, nochmal rumliegen, nochmal ins Wasser, ein letztes Mal rumliegen zum Trocknen, wegfahren) will der Mensch dann doch nochmal was anderes sehen als das Meer, an dessen anderem Ende irgendwo Ex-Jugoslawien und vielleicht sogar Griechenland liegt.
Deswegen beschließt die Kleingruppe einen Ausflug an die Gestaden des Golfs von Tarent, also auf die andere Seite des Stiefelabsatzes. Bis dahin ist es letztlich nicht weit, weil der Stiefelabsatz nur 70 Kilometer dick ist.
Dächer auf und los!
Zum Glück hatte schon der Reiseführer gewarnt, dass die Stadt Tarent selber das Zentrum der süditalienischen Schwerindustrie und also rechtschaffend hässlich sei. Und was soll man sagen? Der Reiseführer hatte aber sowas von Recht.
Du kommst in Urlaubsstimmung im Urlaubscabrio über den letzten apulischen Hügel und vor die entfaltet sich ein Alptraumpanorama von rauchenden Schloten, in der Hitze flirrenden Hochöfen und amorphen Gewerbegebieten. Da kann man nur eins machen: Schnell das Weite suchen. Richtung Süden.
Gina, das Italienisch sprechende Navigationsgerät (für alle, die's vergessen haben) führt im Zickzack nach Pulsano, wobei der Zickzackkurs auch dem Umstand geschuldet ist, dass Fahrer und Beifahrerin ihr alle fünf Minuten neue Anweisungen geben: "Kürzeste Strecke ohne Autobahnen" vs. "Schlaue Strecke mit Autobahnen" undsoweiter...
Falls mal jemand sehen will, wie die Dritte Welt aussieht, ohne selber in die Dritte Welt zu reisen - er reise nach Pulsano. Bittere Armut springt die deutschen Vorsaisontouristen in ihren Angeberaufklappautos an. Die Häuser von der Witterung zermürbt, die Menschen zahnlos, die Straßen dort, wo keine Schlaglöcher sind (und die Schlaglöcher haben deutlich mehr Flächenanteil an der Fahrbahn als der Rest), aus bröseligem Billigbeton. Müll wird von einem heißen Wind durch die Luft geblasen und senkt sich wieder. Wer das mal erlebt hat, der weiß a) dass die EU-Infrastrukturmillionen für den Mezzogiorno irgendwo gelandet sein mögen, aber nicht in der Infrastruktur, und b) weshalb der reiche und halbwegs organisierte Norden Italiens diesen südlichen Landstrich verachtet. Für einen Milanesen ist das hier zivilisatorisch gesehen Afrika. Und da kann man dem Milanesen nicht mal widersprechen.
Andererseits: Das Meer und die Küste hinter Pulsano sind schon sehr sehenswert. Die Uferstraße führt an einem sehr blauen Meer entlang durch weiße Sanddünen, deren Flora überraschend intensiv an das erinnert, was man aus dem Familienurlaub der 1970er Jahre in Dänemark kennt, bis dann sehr abrupt eine steile, wirklich sehr steile Steilküste übernimmt.