Alma kommt

...würde Dir dazu nicht der passende Wagen fehlen?
 
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Gestern war ein schöner Tag. Ich habe Lionel abgeholt. Zugegeben: Ein etwas zu exaltierter Name für einen SAAB. Aber ich kaufte ihn am selben Tag wie zwei Drucke von Lyonel Feininger. Und das erste Lied, das sein Autoradio für mich spielte, kam von Lionel Richie. Also: Lionel.

Ich muss sagen: Er kann diesen Namen tragen. Denn alles an ihm sagt: „Ich war einmal ein großer Star.“ Nur eben ein Star aus einer anderen Zeit. Das dicke Bridge of Weir-Leder. Der satt glänzende Le Mans blaue Lack. Elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung, Tempomat und sogar eine Klimaanlage. Das war der pure Luxus der frühen 90er Jahre.

Auf der Tour vom Westerwald nach Paderborn fühle ich mich, als ob ich zum ersten Mal seit langem wieder wirklich Auto fahre. Denn vieles hat Lionel auch noch nicht: Einen Totwinkelwarner zum Beispiel. Doch wozu gibt es den guten alten Schulterblick? Eine Verkehrskennzeichenerkennung hat er ebenfalls nicht. Doch wozu stehen die Blechtafeln am Fahrbahnrand? Einen Spurhalteassistenten hat er sowieso nicht. Doch wozu habe ich zwei Augen im Kopf, eine Brille auf der Nase und die Straße eine Mittellinie? Parkpiepser hat er schon gleich gar nicht. Doch wozu hat mir meine Fahrlehrerin Frau Bendig mit Engelsgeduld das Rückwärtseinparken beigebracht? Sollen all ihr Stunden stummen Leidens etwa umsonst gewesen sein?

Am Wichtigsten ist sowieso: Lionel hat Lebensart. Wir zirkeln bei strahlendem Sonnenschein über kurvige Landstraßen vorbei an blühenden Rapsfeldern, Wäldern und Fachwerkidyll (wie schön ist doch Hessen!). Die Fenster sind auf beiden Seiten ein Stück geöffnet. In die Nase steigt die verführerische Mischung aus altem Leder, ein bisschen Benzin und dem frisch gemähten Gras von draußen. Sobald wir durch ein Dorf fahren, mache ich die Musik aus, damit ich dem sonoren Klang des Saab Turbos dabei zuhören kann, wie er der durch die Gassen hallt. Ich freue mich über jede Gelegenheit, mein eigenes Auto im Spiegelbild eines Schaufensters zu sehen. Und ich freue mich über alles, was an diesem Auto überraschenderweise noch funktioniert. Trotz der sieben Jahren Standzeit, die er zuletzt verbrachte. Als es gegen Abend kühler wird, springt zum Beispiel die Sitzheizung an. Einfach so von alleine. SAAB hat sie einst erfunden. Fantastisch.

Zur Lebensart, die Lionel vermittelt, gehört auch dieser Zustand vollkommener automobiler Neidlosigkeit. Ich blicke nicht auf andere Autos herab – wäre ja auch schwer möglich als bald einziger Nicht-SUV-Fahrer im Straßenverkehr. Suum cuique, wie der Lateiner sagt. Ich erfreue mich einfach an meinem eigenen Auto. Weil es einen Charakter hat, der sich sowieso jedem Vergleich entzieht.

Und genau diese Gelassenheit erweitert sich für einen SAAB 900-Fahrer in konzentrischen Kreisen zu einer Lebenseinstellung. Du hupst andere Leute nicht an, wenn sie bei Grün an der Ampel nicht sofort losfahren. Du rundest beim Trinkgeld um einen oder zwei Euro mehr auf als allgemein üblich. Du merkst plötzlich: „Gerade richtig“ kann viel besser sein als einfach nur „viel“. Und es ist ein viel größerer Luxus, in einem schönen Moment ein bisschen länger verweilen zu können, als unbedingt der Erste am Ziel zu sein. Leistung ist kein Selbstzweck, sondern dafür da, um sie sinnvoll einzusetzen. Das ist Intelligenz. Das gilt für einen SAAB 900 Turbo. Und das gilt für den Rest des Lebens.

In Paderborn angekommen treffe ich mich mit SAAB-Freund Elmar. Die spanische Tapas-Bar nahe dem Dom hat wieder auf. Wir freuen uns, als wir das bei der Probefahrt sehen, und halten spontan an. Natürlich stellen wir Lionel direkt vor dem Lokal ins Parkverbot. Heute dürfen wir das. Elmar und ich holen uns ein frisch gezapftes San Miguel, schnappen uns zwei Klappstühle und setzen uns auf den Bürgersteig vor die Bar. So, dass wir direkt dem Le Mans-blauen Lack dabei zuschauen können, wie er im Schein der Straßenlaterne glänzt. Wir erzählen uns die Geschichten von allen SAABs, die wir je hatten. Wir schwärmen über alle SAABs, die wir vielleicht gerne nochmal hätten. Aber eigentlich wollen wir gerade gar nichts mehr haben als das hier.

Es ist einer der seltenen Momente, in denen ich die Lust verspüre, wieder mit dem Rauchen anzufangen. Wie sagte meine alte Chefin einst: „Freiheit, das ist ein voller Tank und eine Schachtel Zigaretten.“ Wie wahr. Und die für mich schönste Form der Freiheit ist, wenn sich der volle Tank in einem SAAB 900 Turbo befindet.

Das mit dem Rauchen überlasse ich trotzdem erstmal Lionel. Er kann es sowieso mit viel mehr Stil und Würde als ich. Denn er war einmal ein großer Star. Und für mich ist er das immer noch.

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Zuletzt bearbeitet:
Ja, es kann so einfach - und so schön sein...! :driver: :beer: :smokin::smile:
 

Stimmt.
Allerdings scheint Irgendwer dem 900S das Weitwinkelspiegelglas geklaut zu haben, denn damit kommt die Idee eines Totwinkelwarners gar nicht auf.

Ansonsten lässt sich nur feststellen: Endlich angekommen!
 
Frag mich besser nicht, was ich im Alltag als Dienstwagen fahre, Klaus...
 
Sehr schön! Hab's auf Facebook ja schon gelesen, aber hier paßt alles. Auto, Besitzer, Geschichte. Fein!

Ach: was fährst Du eigentlich im Alltag als Dienstwagen? :biggrin:
 
Keine Schande. Hab mir einen Golf VII GTI geleast, weil der so absurd billig war. Das Auto ist sehr gut.
 
Ein schönes Auto hast Du da ergattert - nun kann der Phantomschmerz weichen.
 
Frage.

Man stelle sich vor, jemand hätte sich gerade erst einen schönen lemansblauen Saab 900 Turbo gekauft und diesen für ordentlichen Rostschutz und ein bisschen kosmetisches Gelöt in die Werkstatt des Vertrauens gebracht. Und freut sich sehr drauf, den bald abholen zu dürfen.

Da taucht in diesem Internet ein zirrusweißer Saab 9-3 SE 5-Türer mit Automatik und schwarzem Leder auf. In schönem Zustand zum fairen Preis.

Genau so ein Auto wie sein allererster Saab, den er von seinem allerersten Gehalt bezahlte. Vor 12 Jahren. Und ein paar Jahre später viel zu leichtfertig wieder verkaufte. Mit all den schönen Erinnerungen, die für ihn dran hingen.

Ein bisschen Geld hätte er schon noch auf der Bank. Aber natürlich braucht er kein drittes Auto. Er braucht ja eigentlich nicht mal ein zweites. Er weiß weder, wo er das hinstellen soll. Noch weiß er, wann er jemals damit fahren soll.

Nur: Es ist eben seine Jugend, die da inseriert ist.

Was sollte dieser Mensch tun?

Ich frage für einen Freund.

Einen Freund, der meint, in seinem sozialen Umfeld rate ihm niemand das Erwünschte.

Also will er mal hier fragen. Bei den anderen Verrückten. Mit der Hoffnung auf ein bisschen mehr Verständnis.
 
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